Todesmarsch-Strecke Dachau – Waakirchen

Historische Korrekturen in Waakirchen

Die Dramatik der letzten drei Kriegstage im oberbayerischen Voralpenland und die Verquickung von Rückzug und Todesmarsch schildert der Seelsorger des Dorfes Waakirchen in seinem Pfarrerbericht auf ebenso nüchterne wie eindrucksvolle Weise. Am 30. April 1945 wusste Pfarrer Georg Hunklinger noch nicht, dass sein Ort in vielen historischen Schriften über das letzte Nazi-Kapitel "Todesmärsche" finale Bedeutung haben würde und er ahnte schon gar nicht, dass er sehr bald schon Tausende von KZ-Häftlingen mit Speise und Trank, Unterkunft und Krankenpflege versorgen würde - vorwiegend jüdische Menschen, die nach jahrelanger Zwangsarbeit noch auf einen mörderischen "Evakuierungsmarsch" geschickt worden waren, in deren künftigem Leben der Name seiner Pfarrgemeinde so etwas wie Erlösung oder Wiedergeburt bedeuten würde.

Unter dem Datum des 30. April schreibt der Pfarrer von Waakirchen unter der knappen Überschrift "Schäden" an seinen Kardinal in lapidarer Kürze:

  • "früh halb 10 Uhr Tieffliegerangriff auf Waakirchen. Bordwaffenbeschuss und zwei Splitterbomben treffen auch den Pfarrhof." Dann zählt er die Schäden auf und endet ebenso lapidar: "13 deutsche Soldaten und zwei Frauen wurden tödlich getroffen. 5 Leichen verbrannten im Stallgebäude. Beerdigt im neuen Friedhof Massengrab I."

Dann schreibt Pfarrer Hunklinger über die Geschehnisse des 1. und 2. Mai einen mehr als doppelt so langen Abschnitt "Vorgänge" – zunächst eine frohe Botschaft, dann ein Bericht, der zu der Bemerkung "Massengrab II" führt.

  • "Am 1. Mai abends um ½ 11 Uhr treffen im Pfarrhof 28 aus dem KZ Dachau entlassene Geistliche ... .Sie werden von einem SS-Offizier beim Pfarrer offiziell entlassen ... Für etwa 4 Wochen übernehmen in allen drei Kirchen diese Geistlichen die Festtags-, Sonntags- und Maipredigten, helfen im Beichtstuhl aus und werden zunächst in der Kirche untergebracht. Die Gläubigen sind von den Bekennerpriestern tief beeindruckt, die Zeit wirkt wie eine Mission. Es war Vorsehung dass sie gerade nach Waakirchen kamen."
  • "Am 2. Mai werden 2700 Dachauer Häftlinge, die die letzte Nacht im Walde in Schnee und Schmutz zugebracht hatten, im Dorfe untergebracht. Nach drei Tagen werden sie in die SS-Kaserne nach Tölz verfrachtet. Drei Reviere müssen wir hier aufmachen für die vielen Kranken. Es fehlt an Medizin und Essen, ein grauenvolles Elend! 9 Mann sterben, 5 finden wir am letzten Lagerplatz im Schopfloch, 1 noch am 1. August im Gebüsch. Alle 15 liegen im neuen Friedhof Massengrab II. ... Am 2. Mai um 13.15 Uhr werden die weißen Fahnen auf dem Kirchturm mit der weiß-blauen gehisst. 15.20 Uhr fahren die ersten amerikanischen Panzer von Tölz kommend ein, von den Dachauern mit stürmischem Jubel begrüßt. Die SS hatte sich in der Nacht vorher nach Tegernsee zurückgezogen."

Der Bericht des Waakirchener Pfarrers korrigiert Zeit-, Zahlen- und Zielangaben der genannten Hauptquellen und bestätigt damit unsere Darstellungen:

  • Der "Todesmarsch von Dachau" (und auch der Zug der Kauferinger KZ-Häftlinge) erreichen am Abend des 1. Mai 1945 das Wäldchen "Schopfloch" zwischen Reichersbeuern und Waakirchen. Am 2. Mai werden sie vormittags nach Waakirchen gebracht (wahrscheinlich durch Wehrmacht) und nachmittags von den einrückenden amerikanischen Truppen befreit.
  • In Waakirchen werden nicht 1200, sondern 2700 KZ-Häftlinge befreit und dort unter der Leitung des Pfarrers drei Tage lang versorgt und verpflegt. Er kannte die Fakten und Zahlen, über die er berichtete.
  • Der Pfarrer von Waakirchen berichtet nicht über einen Weitermarsch von Tausenden von KZ-Häftlingen von Waakirchen in Richtung Tegernseer Tal.