Todesmarsch-Strecke Dachau – Waakirchen

Deutliche Spuren im Voralpenland

Im Dorf Königsdorf bündelten sich wieder die verschiedenen Häftlingskolonnen, die von der Loisachbrücke von Eurasburg aus wahrscheinlich auf mehreren Landstraßen in Richtung Bad Tölz marschierten, insbesondere der Todesmarsch von Dachau und der Evakuierungsmarsch Kauferinger Häftlinge. Es müssen 5000 oder mehr Häftlinge gewesen sein. Aber der Königsdorfer Pfarrer, der die Kämpfe zwischen SS-Truppen und Amerikanern ausführlich beschreibt, bemerkt im Schlussabschnitt seines Berichts vom 28.7.1945 ("Plünderungen") nur lakonisch:

  • "Der größte Teil der KZler war am Abend des 30. April noch durch die Pfarrei hindurch gegen Tölz gezogen, der Rest konnte nicht mehr über die gesprengte Loisachbrücke und plünderte schwer in der Pfarrei Beuerberg. Die Kirche ... war gut bewacht durch 3 Dachauer KZler-Priester ... In den nächsten Tagen kamen noch 4 weitere Priester, die beim KZler-Marsch sich versteckten, bis die Amerikaner hier waren."

Der Pfarrer von Königsdorf schreibt sehr beiläufig über den Marsch von vielen Tausenden von Häftlingen durch sein Dorf, als wüsste jeder Leser bereits, worum es sich handelt. Es ist bedauerlich, dass er nicht genauere Beobachtungen machte, weil es über die Häftlingszüge zwischen Königsdorf und Bad Tölz Unklarheiten gibt, so z.B. ob Häftlinge auch über Kirchbichl marschierten, das östlich der Isar liegt, die noch nicht überschritten war. Dazu ist zunächst zu sagen, das ein Marsch, den der Pfarrer als "in Richtung Bad Tölz" bezeichnet, nach örtlichen Verhältnissen nur nach Südosten führen kann. Der Kauferinger Ex-Häftling Zwi Katz, der sich deutlich an Königsdorf erinnert, ist fest der Ansicht, dass er über Kirchbichl nach Bad Tölz marschierte. Das wirft die Frage auf, ob die alternative Isarbrücke bei Tattenkofen – nordöstlich gelegen - noch begehbar war. Dazu schreibt der Pfarrer von Königsdorf:

  • "die SS ... zogen in den frühen Morgenstunden des 1. Mai ostwärts weiter über die Isarbrücken bei Tattenkofen und Tölz."

Wir halten jedoch die Tattenhofer Version für unglaubwürdig, weil angesichts der näher rückenden Front die SS sicher den kürzesten Weg nach Bad Tölz wählten und weil mehrere Häftlinge präzise Erinnerungen an ein Nachtlager ("Wolfsöd" oder "Teufelsschlucht") auf dem direkten Weg von Königsdorf nach Bad Tölz haben. Noch über ein zwei Geschehen in Beuerberg gibt der Königsdorfer Pfarrer gute Hinweise:

  • "verloren Männer durch Fliegerangriffe ihr Leben, der eine ... am 29. April 1945 am Beuerberger Bahnhof, wo er bei Verpflegung eines Dachauer Flüchtlingszuges Hilfe leistete und durch plötzlichen Fliegerangriff ums Leben kam." (Es handelte sich um den bereits erwähnten Tieffliegerangriff auf den zweiten Dachauer Zug.)
  • "Die Amerikaner kamen schon am 30. April abends ca. 10 Uhr nach Beuerberg und wären wahrscheinlich östlich weitergezogen nach Königsdorf, wenn nicht wenige Stunden vorher die Loisachbrücke zwischen Beuerberg und Königsdorf gesprengt worden wäre."

Die erste und die letzten beiden Bemerkungen des Königsdorfer Pfarrers bestätigen die Aussagen des Beuerberger Pfarrers. Zwischen Königsdorf und Bad Tölz klafft dann ein Loch, denn dort liegen mehrere kleine Dörfer und Weiler, die über keine eigene Pfarrei verfügen, von Häftlingen jedoch genannt werden und in deren Nähe das dritte Nachtlager des Todesmarsches von Dachau platziert war.

Im Bericht des Stadtpfarrers von Bad Tölz wird der Häftlingszug sehr aufmerksam und mit menschlicher Anteilnahme beschrieben:

  • "Am 1. Mai wurden Tausende von Häftlingen von Dachau durch Tölz geführt. Es war ein schrecklicher Anblick, sie in ihrem elenden Zustand zu sehen. Sie konnten kaum mehr gehen vor Hunger und Müdigkeit, baten flehentlich um Brot und Wasser. Kaum sahen dies die Aufseher, hieben sie mit Knitteln unbarmherzig auf sie oder gaben ihnen Stöße mit Gewehrkolben, weshalb manche nicht mehr weiter konnten und auf dem Wege liegen blieben. Etwa 40 von ihnen wurden auf der Straße und im Walde tot aufgefunden. Sie wurden zuerst in 2 Massengräbern beerdigt ... ."

Östlich von Bad Tölz liegt das Dorf Greiling, das keinen eigenen Pfarrer besaß, und dann das Dorf Reichersbeuern, dessen Pfarrer dem Grauen ins Auge gesehen hat. Pfarrer Johann Evangelist Schwarz schrieb in seinem Bericht ebenfalls sehr wirklichkeitsnah:

  • "Seit den frühen Morgenstunden des 1. Mai bis zum späten Abend sahen Greiling und Reichersbeuern den letzten Propagandamarsch` oder den letzten ´Maiaufzug` des 3. Reiches. Tausende von Häftlingen aus dem Konzentrationslager Dachau, wandernde Skelette, von den Wachmannschaften brutal behandelt. Von ihnen sind 9 auf dem Friedhof beerdigt. Ihre Namen und ihre Kennummern konnten nicht mehr festgestellt werden. Sie waren teils an Erschöpfung gestorben, teils wurden sie, wenn sie nicht mehr weitergehen konnten, von der Wachmannschaft einfach erschossen. So war ein Häftling, der krank geworden war, von der Straße weg in ein Bauernhaus hineingegangen und hatte die Bäuerin um etwas zum Essen gebeten, und die hat ihm auch gegeben. Aber zu allem Unglück waren im Haus auch einige SS-Männer, die haben die Frau in ganz gemeiner Weise zusammengeschimpft und ihr gesagt, sie gehörte eigentlich erschossen, weil sie einem solchen ´Verbrecher` etwas gegeben habe. Und dann haben die SS-Männer ihre Befehlsstelle angerufen, was sie mit dem Häftling machen sollen. Es hieß: Umlegen. Den Befehl haben sie auch sofort hinter einem Buschwerk in der Nähe des Anwesens vollzogen und den Toten einfach liegen lassen.".

An diesem Pfarrerbericht sind zwei Aspekte besonders bemerkenswert: Zum einen dokumentiert er die genaue Wahrnehmung des grausamen Geschehens im Schatten des eigenen Kirchturms, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch dem Geschehen in anderen Dörfern entsprach, ohne dass die jeweiligen Pfarrer ähnlich berichtet hätten. Zum anderen muss auf die Tragik hingewiesen werden, dass dieses brutale Handeln der SS-Männer wenige Kilometer vor dem Ort der Befreiung geschah, dem Wäldchen "Schopfloch" zwischen Reichersbeuern und Waakirchen. Auch der Zeitzeuge Zwi Katz wäre in Reichersbeuern (bei einem Fluchtversuch) beinahe erschossen worden.