Todesmarsch-Strecke Dachau – Waakirchen

Hilfsaktionen hinter Starnberg

Die Pfarrei Aufkirchen reichte vom Ostufer des Starnbergersees fast bis zum Loisachtal bei Dorfen. Mehrere Orte, durch die der geteilte Todesmarsch von Dachau führte, liegen auf ihrem Gebiet, darunter Percha bei Starnberg, Kempfenhausen, Berg, Rottmannshöhe, wo viele von Jesuiten im Lager Achmühle/Bolzwang befreite Priester untergebracht wurden, und Aufkirchen und Aufhausen. Pfarrer Max Karbacher aus dem Dorf Aufkirchen, durch das der nördliche Teilzug führte, schrieb:

  • "Das erschütterndste Bild während all der Kriegsjahre bot der Durchzug der KZ-Häftlinge von Dachau her am 28. April 1944. (Er verwechselte die Jahresangabe!) Es war eine Prozession des Elends und des Jammers, Hunderte und Aberhunderte von wandelnden Leichen, die sich mühsam dahinschleppten oder erschöpft am Boden liegen blieben. Oft wurde ihnen unter Tränen Hilfe und Nahrung geleistet, soweit eine brutale Wachmannschaft es nicht rüpelhaft verwehrte: Drei Häftlinge wurden auf dem Durchzug durch unser Dorf erschossen und bei der Abenddämmerung ohne Wissen des Pfarrers durch Veranlassung von Bürgermeister Laux im Friedhof verscharrt, ohne zuvor die Personalien festgestellt oder die Gefangenennummer festgestellt zu haben."

Der Pfarrer von Aufkirchen, der die Marschkolonnen bei Tageslicht beobachtete, beschreibt den Todesmarsch, den Zustand der Häftlinge und das Verhalten der Wachmänner so wie dies von Teilnehmern wie Leopold Marina, Heinrich Pakullis oder Franz Scherz sowie Solly Ganor und Zwi Katz in ihren Zeitzeugen-Berichten geschildert wurde und wie dies der Bildhauer Hubertus von Pilgrim bei der Gestaltung der Todesmarsch-Mahnmale nachempfand. Pfarrer Karbacher erwähnt auch, dass im Jesuitenhaus Rottmannshöhe und im Schwesternhaus Percha 35 bzw. 17 im Lager Achmühle/Bolzwang befreite Pfarrer versteckt wurden.

Der Pfarrer der Münsinger Expositur Höhenrain, die nur wenige Kilometer südöstlich von Aufkirchen an der Todesmarsch-Strecke liegt, schreibt in seinem winzigen Bericht kein Wort über den Zug der KZ-Häftlinge. Anders Pfarrer Otto Schneller von der Pfarrei Wolfratshausen:

  • "Am 28. April ab halb 2 Uhr morgens bewegte sich durch die Pfarrei von Höhenrain und Dorfen her bis Bolzwang der Elendszug der Dachauer Häftlinge, ausgehungerte und erschöpfte Männer, die zum Teil nicht mehr weiterkonnten. Die Einwohner suchten zu helfen durch Spenden von Brot usw., soweit die Bewachungsmannschaft das zuließ. Das Rote Kreuz leistete auch einige Hilfe. Einzelne Gefangene konnten sich vom Zug lösen und fanden Unterkunft, darunter einige Priester. Pater Pies hat an diesem und den folgenden Tagen ein mutiges Rettungswerk mit einigen Jesuitentheologen unternommen und mit Lastkraftwagen eine Anzahl Geistlicher geborgen."

Der Wolfratshausener Pfarrer weist auch darauf hin, dass nach der Befreiung kranke KZ-Häftlinge in den benachbarten Lagern Föhrenwald und Geretsried hin sowie auf die Bestattung gestorbener oder getöteter Häftlinge im Wolfratshauser Friedhof ("mehrere Reihen von Gräbern").

Über den südlichen Teilzug von Berg über Münsing und Degerndorf bis Bolzwang berichten die Pfarrer von Münsing und Degerndorf in unterschiedlicher Länge. Pfarrer Heldmann aus Münsing berichtet über den 30. April:

  • "Am gleichen Tag konnten wir durch H. Expositus von Degerndorf bewogen, den von der SS über Wolfratshausen nach dem Süden geführten KZ-Geistlichen, soweit sie nicht in der Nacht vorher durch P. Pies SJ befreit worden waren und den Kranken dieses furchtbaren Transportes zu Hilfe kommen, durch Speisung mit heißen Getränken und Lebensmitteln, welche von Wirt N.N. und einem Lastauto in einen nahen Wald bei Degerndorf geführt wurden."

Sehr viel ausführlicher schreibt der Münsinger Pfarrer über Plünderungen nach der Ankunft der Amerikaner durch vorwiegend russische und polnische Häftlinge ("Die Fremdarbeiter, die ein Plünderungskomplott mit den russischen KZlern eingesponnen hatten ... ."). Es handelt sich offensichtlich um die 5000 in Beuerberg befreiten russischen Häftlinge sowie um die aus den Todeszügen in Iffeldorf und Seeshaupt befreiten KZ-Häftlinge. Dazu schreibt er: " ... die Amerikaner infolge der SS-Bluttaten an wehrlosen KZlern bei Seeshaupt psychisch sehr erregt waren."

Eine der ausführlichsten Schilderung überlieferte Expositus Ludwig Betzinger aus dem Dorf Degerndorf nahe bei Bolzwang. Sein eindringlicher und präziser Bericht über die KZ-Häftlinge des Todesmarsches von Dachau sucht in den "Pfarrerberichten" seinesgleichen. Er schrieb – nicht wie vom Ordinariat vorgegeben – über drei, sondern über vier Themen:

  1. Fliegerangriffe,
  2. Vorgänge beim Einmarsch der Amerikaner,
  3. Das Elendslager der Dachauer KZ-Häftlinge im Wald bei Achmühle-Bolzwang
  4. Plünderungen.

Pfarrer Betzinger war damit der einzige Seelsorger der Erzdiözese München und Freising, der über die vom Kardinal vorgegebene Themenstellung hinaus – Kriegsschäden, Einmarsch der Amerikaner, Plünderungen – in einem eigenen Kapitel den Todesmarsch von Dachau thematisierte, und zwar in einem Umfang wie über die beiden ersten Themen zusammen und länger als das dritte Thema. Wegen der quantitativen und vor allem der qualitativen Bedeutung des Degerndorfer Pfarrerberichts dokumentierten wir diesen bereits unter dem Titel "Guter Bauer – guter Pfarrer" in unserem Informationsbericht über den Todesmarsch von Dachau. Wir wiederholen ihn an dieser Stelle der Vollständigkeit halber und wegen seiner herausragenden Bedeutung.

Der Bericht des Degerndorfer Pfarrers Ludwig Betzinger wurde am 20. Juli 1945 abgeschlossen, d.h. zeitlich sehr nahe am Geschehen. Unter der Überschrift "Das Elendslager der Dachauer KZ-Häftlinge im Wald bei Achmühle-Bolzwang" nahm Expositus Betzinger zu folgenden Punkten Stellung:

  • Ort, Zeiten und Zahlen: "Am 28. April 1945 kam der Elendszug der "Dachauer" in unsere Expositurgemeinde und zwar in den Wald bei Achmühle und Bolzwang .... etwa 7000-8000 Häftlinge ... ."
  • Zustand der Häftlinge: "... lagen dort auf dem bloßen Boden, bei grimmiger Kälte, ganz erschöpft, dem Verhungern nahe .... Am Leibe trugen sie eine blau-weiß gestreifte, wie Hemdenstoff dünne Hose ohne Unterwäsche, eine ebensolche Jacke, ... alles meist nur in Fetzen. Statt der Socken schmutzige Lumpen um die Füße gebunden, statt der Schuhe plumpe Holzpantoffel. ... Eigens erwähnt soll noch werden ein Rheinländer aus Bonn, dessen Arme durch Gewehrkolbenschläge mehrmals abgeschlagen, durch Hundebisse und Messerstiche furchtbar zugerichtet waren – der Expositus hat es selber gesehen!"
  • Wachpersonal: "Streng bewacht waren sie von etwa 500 bis 700 SS-Posten, darunter wahre Teufel in Menschengestalt, schlimmer als ihre Hunde .... Sie schlugen die armen Häftlinge mit Gewehrkolben und hetzten gegen sie ihre Hunde, die diesen Hilflosen Kleider und ganze Fetzen Fleisch vom Leibe rissen. ... Wer ´am Verrecken war`, wurde mit einem Prügel oder dem Gewehrkolben erschlagen oder durch Genickschuss ´erledigt`"!
  • Pfarrer: " ... wenn einer aus den Reihen heraustrat und sagte: ´Ich bin ein reichsdeutscher Priester` ... ihn ein SS-Posten dann zurücktrieb mit den Worten: ´Mach, dass Du hineinkommst, Saupfaff!´ In dem Elendslager befanden sich noch 50-60 katholische Geistliche, von denen die meisten aber durch das Husarenstück des Jesuitenpaters Pies von der Rottmannshöhe in den Nächten vom 28./29. und 29./30. April gerettet wurden."
  • Hilfe (bekannte Personennamen gibt der Herausgeber, Dekan Peter Pfister, mit N.N. wieder): "Der Bauer N.N. von Degerndorf und die Bäuerin N.N. von Sprengenöd bei Eurasburg haben sich in lobenswerter Weise bemüht, soviel als möglich, Brot, warme Milch, Suppe und andere Nahrungsmittel in das Elendslager im Walde zu bringen. ... Sie hätten den Göttlichen Heiland zum Wunder der Brotvermehrung gebraucht! ... Einige wenige, die ... unbemerkt aus dem Lager entkommen und nach Degerndorf sich schleppen konnten, wurden bei Bauern vor den Nazi versteckt und verpflegt, so im Pfarrhaus, beim Krämer N.N., beim N.N., beim N.N. in Bolzwang, bei N.N. in Sonderham."
  • Weitermarsch: "... die Häftlinge in der Nacht vom 1./2. Mai in Richtung Königsdorf//Tölz weitermarschiert ...." (Pfarrer Betzinger irrt sich hier mangels Übersicht über die Landstraße im Loisachtal um einen Tag.)
  • Tote: "Noch am 1. Mai nachmittags mussten auf Befehl der Lagerleitung durch die Gemeinde Degerndorf die Toten abgeholt werden. Es waren 28 Tote, jene nicht mitgerechnet, die bereits an Ort und Stelle auf Befehl der SS irgendwo verscharrt waren. Während die Bauern mit dem Aufladen der Toten beschäftigt waren, warfen ihnen die SS-Männer einen noch lebenden Menschen mit auf den Wagen! Auf die Weigerung der Bauern, ´den nehmen wir nicht mit, der lebt noch`, erklärten die SS: ´Der verreckt schon, bis ihr hinaufkommt`. ... Eigentlich hätten auf Befehl der SS diese Toten nur ´verscharrt` werden dürfen ...Unbekümmert um diesen Nazibefehl haben wir die armen Toten ... in einem Massengrab beigesetzt... Ein großes Kreuz schmückt das Grab dieser Opfer des Naziregimes. ... Nun wäre aber unser Friedhof zu klein gewesen, alle Toten aus dem Elendslager von Achmühle aufzunehmen: diese wurden dann (ca. 50-60) an Ort und Stelle in einem Massengrab begraben. Auch dieses Massengrab wurde mit einem großen Kreuze geschmückt."
  • Befreiung: "Der Expositus hatte die Gläubigen in der Kirche ermahnt, vor den vielen armen Menschen, die bettelnd kommen würden, die Haustüren nicht zuzusperren, sondern weit aufzumachen und Brot zu backen, soviel sie nur konnten. ... Nunmehr kam ... ein ganzer Strom von befreiten russischen Kriegsgefangenen, von befreiten Zwangsarbeitern aus dem Lager Föhrenwald und Geretsried bei Wolfratshausen und von befreiten ehemaligen KZ-Häftlingen .... Wenn sie auch die Degerndorfer lobten, "hier gute Bauern", so konnte dieses Lob doch nicht verhindern, dass unsere Bauern selber kaum mehr wussten, wo sie Brot und Kartoffeln und andere Lebensmittel für sich selber hernehmen wollten."