Bahntransporte von Dachau, Kaufering und Mühldorf in Richtung Alpen

c. Strecke Mühldorf - Starnberger See

Am 25. April 1945 wurden in Mühldorf 3600 Häftlinge des dortigen KZ-Lager-Komplexes in Güterwaggons verladen, um über den Bahnknoten München nach Tirol transportiert zu werden. Wir untersuchen folgende Pfarrerberichte nach Hinweisen auf diesen Bahntransport: aus den vier Pfarreien in Mühldorf und den Nachbarorten Ampfing und Mettenheim in der Nähe der dortigen vier KZ-Lager sowie aus den Orten, in denen dieser Häftlingszug von Tieffliegern beschossen wurde. Dies war der Fall zwischen Mühldorf, Mettenheim und Ampfing, in Poing bei München sowie – worüber schon berichtet wurde – in Beuerberg und Seeshaupt:

Laut den beiden vorliegenden Pfarrerberichten liegen die zwei Pfarreien von Mühldorf - St. Nikolaus und die Expositur St. Peter und Paul – in der Nähe des Bahnhofs, so dass sie informiert sein mussten, dass dort ab Sommer 1944 über 9000 KZ-Häftlinge aus Osteuropa ausgeladen wurden, die in den umliegenden Wäldern gigantische Bunkerfabriken betonieren mussten. Sie konnten auch wissen, dass am 25. April 1945 dort etwa 3600 überlebende Häftlinge in Güterwaggons für den Transport nach München und Tirol verfrachtet wurden. Aber in beiden Berichten fehlt jeglicher Hinweis auf diese Massentransporte, auf die die vier KZ-Lager und den 300 Meter langen, 80 Meter breiten und 26 Meter hohen "Betonmoloch", in dem über 9000 Häftlinge Fronarbeit leisten mussten. Für diese Ignoranz oder Verdrängung versuchen wir eine Erklärung: Die Stadt Mühldorf wurde im März und April 1945, fünf Tage vor dem Abtransport der 3600 Häftlinge, durch zwei furchteinflößende Bombenangriffe zutiefst schockiert.

Der Pfarrer von Mettenheim, in dessen Nähe sich das größte Lager des Mühldorfer KZ-Komplexes befand, ignoriert in seinem Bericht ebenfalls die Existenz der Lager, der Bunkerbaustelle und des An- und Abtransports der Häftlinge. Unwillkürlich und abschließend weist Pfarrer Weinschenk indirekt auf die Existenz des "Betonmolochs" hin:

  • "Nachgetragen sei noch, dass vor ungefähr 3 bis 4 Wochen die amerikanische Armee in der Umgebung des Dorfes noch Sprengungen vornahm. Dabei war eine besonders starke, und es waren vorher alle Häuser benachrichtigt worden, damit die Fenster geöffnet würden. Da dies bei den Kirchenfenstern unmöglich war, erlitten dabei die Fenster, auch die farbigen Fenster im Presbyterium , einigen Schaden."

Bei diesen Sprengungen handelte es sich um den vergeblichen Versuch der US-Armee, das letzte industrielle Prestigeprojekt des Nazi-Regimes, den riesigen Betonbogen, der 4000 Häftlingen das Leben kostete, vom Erboden verschwinden zu lassen. Die Mühldorfer und Mettenheimer können die Bunkerruine "Weingut I" immer noch betrachten. Eine Mühldorfer Bürgerinitiative bemüht sich, dort mit Hilfe des Freistaates Bayern eine KZ-Gedenkstätte zu gestalten.

Der Pfarrer von Ampfing, der zweiten Bahnstation nach Mühldorf und Mettenheim, weist in seinem Bericht ziemlich kryptisch auf die Existenz von über 9000 Häftlingen und den Bunkerbau hin. Er beklagt zunächst:

  • "die Beschlagnahme des Pfarrhofgartens durch die Organisation Todt ab Mitte Juni 1944: Entfernung von 18 Obstbäumen, Ausbau des alten Ökonomiestadels zu einem Kasino."

Der Pfarrer erwähnt nicht, dass die Organisation Todt ("O.T.") im Auftrag Speers und der SS die gesamten Bunkerprojekte von Landsberg-Kaufering und Mühldorf leitete. Dann beklagt er, dass sein Pfarrhofgarten "als Lazarett für die Juden" zweckentfremdet wurde. Woher kamen plötzlich die Juden? Fast am Ende kommt dann eine immer noch hintergrundslose Bemerkung über die Existenz von KZ-Häftlingen im Raume Mühldorf-Mettenheim-Ampfing:

  • "Wegen des in der Nähe liegenden KZ-Lagers musste die Bevölkerung nach Freilassung der KZler größere Opfer bringen durch Lieferung von Lebensmitteln an das Judenlazarett ... Dann kamen arge Plünderungen durch die Ausländer in Ampfing selbst ... ."

Noch einmal die Frage: Woher kamen plötzlich die Juden?

Aus Poing, östlich von München gelegen, auf dessen Bahnhof der Mühldorfer Häftlingszug ein zweites Mal von Tieffliegern beschossen wurde, kann kein Pfarrerbericht vorliegen, denn Poing war im Jahre 1945 offensichtlich weder Pfarrei noch Expositur. Im Ortsregister des umfangreichen erzbischöflichen Werkes taucht es nur an einer Stelle im Zusammenhang mit dem Einmarsch amerikanischer Panzertruppen auf. Auch die Berichte aus den Nachbarpfarreien Anzing, Kirchheim und Markt Schwaben erwähnen keinen Tieffliegerangriff auf einen Häftlingszug in Poing. Es gab in diesen letzten Kriegstagen sehr viele US-Angriffe auf fahrende oder stehende Eisenbahnzüge und die Kommunikationsmöglichkeiten waren in den letzten Kriegstagen und vor allem danach katastrophal.

Auf Pfarrerberichte über das Schicksal der Bahntransporte südlich von München – Tieffliegerangriffe in Hohenschäftlarn, Beuerberg, Seeshaupt – und über Plünderungen am Ostufer des Starnberger Sees haben wir schon in Abschnitt 5b) hingewiesen.

Über die Bahntransporte wissen wir weniger als über die Märsche. Dr. Max Mannheimer, der nach den KZ-Lagern Auschwitz I und Allach ins KZ-Lager Mettenheim verlegt wurde und den Todeszug von Mühldorf über Poing, Beuerberg und Seeshaupt bis Tutzing überlebte, antwortete auf die Frage nach Einzelheiten des Transports wie Tieffliegerangriffe und Todesopfer: "Wie sollte ich mich an Details während der tagelangen Fahrt im geschlossenen Waggon erinnern? Ich wog in Tutzing nur noch 37 Kilo und war froh, dass ich noch am Leben war." Über die Informationslücken des schrecklichen Kapitels "Bahntransporte" können uns auch die Pfarrerberichte nicht hinweghelfen.