Bahntransporte von Dachau, Kaufering und Mühldorf in Richtung Alpen

b. Strecke Dachau/Emmering – Mittenwald / Starnberger See

Die ungleiche Wahrnehmung der beiden Pfarrer von Dachau wurde bereits in Kapitel 3, im Zusammenhang mit den Pfarrerberichten der Marschstrecke Dachau-Waakirchen, erwähnt. Die völlige Verdrängung der Verladung von 9600 Dachauer Häftlingen durch den Emmeringer Pfarrer wurde im letzten Abschnitt festgestellt. Über die vier "Dachauer Bahntransporte" in Richtung Alpen wurde in den Pfarrerberichten nur im Zusammenhang mit Fliegerangriffen und mit Plünderungen an Ankunftsorten berichtet.

Der Pfarrer von Schäftlarn, das an der Isartalbahn-Strecke zwischen München und Wolfratshausen liegt, berichtet beiläufig über einen Tieffliegerangriff am 29. April auf einen leeren Häftlingszug aus Kochel:

  • "Nachdem am Sonntag, den 29. April 1945, in Hohenschäftlarn um 7.45 Uhr ein von dort wegfahrender Leerzug, der Dachauer Strafgefangene nach dem Süden bis Kochel transportiert hatte (von wo die Leute dann zu Fuß weiterlaufen mussten nach ihrem Endziel im Ötztal (!?)), ... von feindlichen Bordwaffen schwerst beschossen wurde, (der Lokomotivführer wurde verwundet ins Sanatorium gebracht) ... ."

Es kann sich hierbei aus zeitlichen Gründen nur um den ersten "Dachauer Zug" nach Mittenwald handeln, der am 28. April Seefeld in Tirol erreichte und von dort zurückfuhr.

Über den ersten "Dachauer Zug" von 2000 Häftlingen, dessen Überlebende von Seefeld in Tirol nach Mittenwald zurückmarschieren mussten und dort knapp einem Massaker entgingen, schreibt der Mittenwalder Pfarrer fast nur über Plünderungen, ebenso wie die Pfarrer des Nachbarortes Wallgau und von Garmisch:

  • "Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner kamen rund 2000 KZ-Häftlinge durch den Ort, die dann hier hängenblieben. Die Bevölkerung hat ihnen geholfen, wo sie helfen konnte. Leider haben sie sich später mit den Amerikanern an den Plünderungen und Räubereien beteiligt ... "
  • "Da auf einmal tauchten von Mittenwald her KZ-Häftlinge auf. Jetzt kam es zu Plünderungen, in Krün ärger als in Wallgau."
  • "In der ersten Woche nach der Besetzung nahmen die Plünderungen großen Umfang an vor allem durch die vielen Ausländer und die vielen entlassenen Häftlinge aus den Konzentrationslagern, die sich in auffallend großer Zahl in dieser Gegend befanden. Viele waren von der SS von Dachau hierher getrieben worden ... ."

Über die folgenden drei "Dachauer Züge" liegen Berichte über Tieffliegerangriffe, zum Teil über die Zahl der Todesopfer und vor allem wieder über Plünderungen vor.

Der Pfarrer von Beuerberg berichtet:

  • " 29. April 1945 ... wurde ein Eisenbahnzug mit Dachauer Häftlingen am hiesigen Bahnhof von amerikanischen Tieffliegern beschossen, wobei eine Anzahl Häftlinge, man spricht von über 100, einige von den Wachmannschaften ... getötet wurden. Die meisten Leichen wurden im Zug mitgenommen und erst, wie man hörte, in Staltach und Seeshaupt von den Amerikanern ausgeladen. Hier wurden ... etwa 17 Leichen von KZlern neben dem Bahngeleise begraben."

Bei diesem Bahntransport handelt es sich offensichtlich um den zweiten "Dachauer Zug", der in Beuerberg mit einem Mühldorfer Teilzug gekoppelt wurde und am 30. April in Seeshaupt endete.

Nach dem Bericht aus Beuerberg enden die unmittelbaren Augenzeugenberichte über Bahntransporte durch Pfarrer. Zum einen befinden sich die Ankunftsorte des Mühldorfer Bahntransports und der folgenden zwei Dachauer Häftlingszüge außerhalb des Erzbistums, so dass keine Pfarrerberichte vorliegen:

  • 28. April: 4. Dachauer Zug in Wolfratshausen
  • 29. April: 1. Mühldorfer Teilzug in Tutzing;
  • 30. April: 3. Dachauer Zug und 2. Mühldorfer Teilzug in Staltach-Iffeldorf.

Die weit über 3000 Häftlinge, die am 30. April in Seeshaupt (Dachauer und Mühldorfer!), und die 2600 Häftlinge, die am selben Tag in der davor liegenden Station Staltach-Iffeldorf befreit wurden, zogen vom Südufer des Starnberger Sees hungrig und plündernd über die umliegenden Gebiete, auch am Ostufer des Sees. Deren Pfarreien, die zum Teil schon über die Todesmärsche berichteten, beschrieben besonders ausführlich die Plünderungen der Häftlinge aus den genannten Bahntransporten:

  • Pfarrei Münsing: " ... die Amerikaner infolge der SS-Bluttaten an wehrlosen KZlern bei Seeshaupt psychisch schwer erregt waren... Die Rache-Schnaubenden, von den Amerikanern freigelassenen KZler standen vor den Toren Münsings, nachdem sie in Seeshaupt furchtbare Dinge vollbracht hatten ... Die Fremdarbeiter, die bereits ein Plünderungskomplott mit den russischen KZlern eingesponnen hatten, waren wütend und suchten durch Intrigen aller Art die Panzerbesatzung gegen Münsing aufzuhetzen ... Nun begannen auch die großen Speisungen der KZler-Massen in St. Heinrich und Ambach sowie Seeshaupt durch die Gemeinden von Holzhausen, Ambach, Ammerland, Münsing usw., die großzügig mit kluger Ruhe durchgeführt wurden."
  • Expositur Holzhausen (Pfarrei Münsing): "Tausende von KZ-Häftlingen waren in der Kiesgrube bei Bolzwang freigeworden, Hunderte kamen vom Bahnhof Seeshaupt, wo ihr Transportzug stehen blieb. Als St. Heinrich grausamst geplündert war, bedurfte es der Waffen und freiwillig gespendeter Essentransporte und guter Dolmetscher, um einen wilden Sturm nach Holzhausen zu verhindern. Erst nach einigen Tagen kamen auch immer mehr ´Besuche` von Bolzwang her."

Expositus Johann Kaltenhausen, der seitenlang über die Plünderungsszene berichtet, irrt offensichtlich mit dem Hinweis auf Bolzwang, wo vom 28. bis zum 30. April weit über 10.000 Häftlinge lagerten, aber nach Beuerberg und Bad Tölz weitermarschieren mussten. Keine Literaturquelle berichtet über Massenentlassungen in Bolzwang. Bei den Holzhausener Plünderern aus "Bolzwang" kann es sich um Teile jener 5000 russischen KZ-Häftlinge handeln, die am 30. April in Beuerberg vom "Todesmarsch von Dachau" abgetrennt und dort noch am selben Tage von US-Truppen befreit wurden. Beuerberg liegt nicht weiter von Holzhausen entfernt als Seeshaupt und Iffeldorf.

Abschließend ist zur Thematik "Bahntransporte und Pfarrerberichte" noch einmal zu bemerken, dass die Pfarrer entlang der Bahnstrecke nicht in die vorbei fahrenden geschlossenen Güterwaggons hineinschauen konnten, so dass das schreckliche Leiden, der Hunger und der Durst der tagelang herumtransportierten Häftlinge nicht beobachtet und beschrieben werden konnte. Es ist tragisch, dass die Pfarrer nur berichten konnten oder wollten, wenn amerikanische Flugzeuge die Häftlinge kurz vor ihrer Befreiung irrtümlich töteten oder wenn völlig ausgehungerte und entkräftete Häftlinge nach ihrer Befreiung eine Dorfbevölkerung heimsuchten, die zum ersten Mal leibhaftiger "KZler" ansichtig wurde, für die ihnen die Nazi-Propaganda Begriffe eingeredet hatte wie Verbrecher, Bolschewiken, Untermenschen oder Saujuden.