Todesmarsch-Strecke München-Ost – Tegernseer Tal

b. Strecke Ottobrunn

Für die kleine Marschkolonne von 337 Zwangsarbeitern aus der Luftforschungsanstalt Ottobrunn fehlen uns jegliche Orts- und Zeitangaben für eine dokumentarisch gestützte Analyse, die uns erlauben würde, Pfarrerberichte entlang einer bestimmten Strecke zu überprüfen. Wir nennen einige Mutmaßungen für die eine oder andere Option:

  • Bei Zwangsarbeitern in einer Luftforschungsanstalt handelte es sich wahrscheinlich um beruflich qualifizierte Facharbeiter und nicht um Schwerstarbeiter in Bunkerarbeiten. Sie könnten in Fabriken in west- und südeuropäischen Ländern zwangsrekrutiert worden sein und nicht in osteuropäischen Ghettos. Das spräche für Zwangsarbeiter aus Belgien, Frankreich oder Italien.
  • Da das Nazi-Regime gegen Ende des Krieges das Hirngespinst verfolgte, den Kampf und damit auch die Rüstungsproduktion in der "Alpenfestung" fortzusetzen, ist es wahrscheinlich, dass diese Häftlingsgruppe, für die das Ötztal als Ziel genannt wurde, auf dem kürzesten und schnellsten Weg nach Tirol marschieren musste. Dieser führt entlang der Salzburger Autobahn bis Holzkirchen und von dort direkt ins Tegernseer Tal in Richtung Achensee.

Aus diesen Gründen überprüfen wir die Strecke von Ottobrunn über Brunnthal, Hohenbrunn, Höhenkirchen, Hofolding und Holzkirchen. Die Orte des Tegernseer Tals haben wir schon unter Kapitel 3 untersucht.

Einen sehr guten Ausgangsbericht für den Marsch der Ottobrunner Häftlinge in Richtung "nach dem Süden" gibt Pfarrer Anton Ferstl von der Kuratie St. Otto in Ottobrunn:

  • "Bemerkenswert ist, dass in Ottobrunn eine Abteilung des Konzentrationslagers Dachau war. Die Häftlinge waren der LFM (Luftfahrtforschungsanstalt München) als Arbeiter zugeteilt (etwa 600 Mann). Die Zustände waren verhältnismäßig gut, abgesehen von Schlägen und den bekannten Stehbunkern wurden die Insassen gut behandelt."
  • "Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner (30.4.) wurde der größte Teil noch nach dem Süden abtransportiert. Die verbliebenen Häftlinge befreiten sich selbst."
  • "Schon ein halbes Jahr vorher sammelte der Pfarrer um sich mutige Männer ... Als die Freiheitsaktion Bayern begann (28.4.) ... Der Pfarrer überließ dann die weitere Arbeit diesen Männern. Sie halfen mit, die KZler zu befreien ...."

Dann aber gibt es in der Literatur und aus den Pfarreien "nach dem Süden" keinerlei Hinweise mehr über die Ottobrunner Häftlinge. Ohne Erfolg untersuchten wir die Pfarrerberichte aus den südlich von Ottobrunn gelegenen Orten Unterhaching, Taufkirchen, Hohenbrunn, Höhenkirchen, Brunnthal, Hofolding, Sauerlach und Holzkirchen.

Südwestlich von Holzkirchen berichten noch drei Pfarreien über KZ-Häftlinge:

  • Pfarrei Großhartpenning: "Ungefähr vierzehn Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner in Hartpenning fand N.N., N.N.-Bauer von hier, draußen im Wald in der Nähe von "Rummels" Roßweide vier Leichen; es handelte sich um die sterblichen Überreste von Männern des Konzentrationslagers Dachau. ... Ende April ein himmellanger SS-Mann im Tarngewand vier KZler durch den Ort führte ... Im nahen Wald hat der Unmensch die armen Leute erschossen. Ein trauriges Los entrechteter Menschen!"
  • Pfarrei Dietramszell: "Einmarsch der Amerikaner am 2. Mai vormittags gegen 10 Uhr ... An Toten gab es am 1. und 2. Mai in Dietramszell drei (3) italienische KZ, die von der SS auf der Tölzer Straße erschossen wurden ... Die drei Italiener wurden von den französischen Gefangenen als Freunde zu Grabe getragen. Im Totenbuch sind ihre Namen vermerkt."
  • Pfarrei Sachsenkam: "Am 2. Mai nachmittags ... Zwischen Waakirchen und Gmund wurde ein starker Zug Häftlinge aus Dachau von den Amerikanern aufgelöst; es war besonders am Reutberg (Kloster Reutberg bei Sachsenkam!) ein buntes Bild von "Dachauern"."

In Großhartpenning kann es sich um Häftlinge aus Ottobrunn oder Riem handeln, in Dietramszell um Häftlinge aus Ottobrunn (Italiener!), in Sachsenkam bzw. zwischen Waakirchen und Gmund um Häftlinge aus Riem oder Dachau.

Für unsere Mutmaßung, dass es sich bei den Häftlingen im Tegernseer Tal um Reste der Ottobrunner oder auch der Riemer Marschkolonnen handelt, sprechen – außer den niedrigen Zahlen – noch zwei Hinweise von dortigen Pfarrern, die wir schon unter Kapitel 3 erwähnt haben:

  • In Rottach, am Südufer des Tegernsees, blieben vor dem Kriegsende 300 Häftlinge hängen, die nicht mehr zum Achensee durchkamen. Das spricht für die Ottobrunner, die nach Ötztal sollten, oder die Riemer Gruppe (siehe der Zeitzeuge David Grünwald.).
  • In Bad Wiessee, am Westufer des Tegernsees, kamen am 28. April 1945 140 Häftlinge aus Belgien, Frankreich, Italien und den Niederlanden an und blieben dort. Das könnten wegen der Herkunft und des Zeitpunkts Ottobrunner Häftlinge gewesen sein.