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Quellenanalyse KZ-Kommando Kaufering Informationsdefizite bei Evakuierung der Lager in Kaufering und Landsberg, | |||||||||||||||||||
Bei der Räumung des KZ-Komplexes "Kommando Kaufering" wurden mehr KZ-Häftlinge zu Fuß und per Bahn "evakuiert" als durch den historischen "Todesmarsch von Dachau" vom 26. April 1945. Zwischen dem 24. und 26. April 1945 wurden rund 12.000 vorwiegend jüdische Häftlinge der damals noch bestehenden sieben Kauferinger Lager (1, 3, 4, 5, 6, 7, 11) durch wahrscheinlich fünf Fußmärsche nach Dachau, Allach und weiter in Richtung Alpen sowie durch einen Bahntransport nach Dachau (bzw. Emmering) evakuiert. Nur 248 schwerkranke und nicht gehfähige Häftlinge des Lagers 4 blieben tot zurück, weil sie den kurzen Weg zum Bahngleis nicht mehr schafften und kurz vor Eintreffen der US-Truppen von der SS durch Inbrandsetzen der Hütten ermordet wurden. Dem historischen Tatbestand des Dachauer "Außenkommandos Kaufering" als wichtigem Bestandteil des gesamten KZ-Komplexes Dachau werden journalistische Berichterstattung und Wahrnehmung in Literatur, Wissenschaft und Politik nicht gerecht. Nicht nur die beiden Hauptquellen und die fast alle Zeitzeugenberichte offenbaren dieses Informationsdefizit. Auch in der fachlichen Literatur wird dementsprechend nur das Schicksal von drei Evakuierungen mit insgesamt 6100 Häftlingen dokumentiert. Das Schicksal von mehr als 5900 Kauferinger Häftlingen bleibt darin unberücksichtigt. Nur Andreas Wagner versucht in seiner Schrift, Licht in diese Informationslücke zu bringen. 1. Informationen der Hauptquellen Das US-Dokument vom 2.3.1950 und das niederländische NTC-Dokument vom 28.4.1950 nennen nur zwei Evakuierungsmärsche aus dem Kauferinger Lagerkomplex:
Zu diesen zwei Angaben der Hauptquellen kann man noch einen dritten Hinweis aus zuverlässigen offiziellen Quellen und von mehreren ehemaligen Häftlingen hinzufügen. Am 25.4.45 wurden vom Kauferinger Lager 4, dem Kranken- und Sterbelager bei Hurlach, 2400 kranke Häftlinge auf die Bahn verladen. Dieser einzige Bahntransport vom KZ-Komplex Kaufering wurde kurz nach Beginn der Fahrt von Tieffliegern beschossen, fuhr an den Verladeplatz bei Hurlach zurück, um die Toten auszuladen. Dann fuhr der Zug nach Landsberg, um vom dortigen Lagers 1 (oder auch benachbarten Lagern) weitere 1000 kranke Häftlinge Landsberger einzuladen. Am Abend des 26.4.1945 fuhr der Zug mit mittlerweile etwa 3400 Häftlingen über Kaufering in Richtung Dachau. Am Morgen des 27.4. wurde er östlich von Kaufering, bei Schwabhausen, ein zweites Mal von Tieffliegern beschossen. Laut ITS-Recherchen soll es dabei bis zu 1000 Tote durch den amerikanischen Beschuss und durch das Feuer der SS-Wachen auf fliehende Häftlinge gegeben haben. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, z.B die uns bekannten Zeitzeugen Uri Chanoch und Chaim Melech. Der Zug fuhr angeblich bis Dachau, wegen der Bombenschäden auf der Dachauer Strecke wahrscheinlich nur bis Emmering bei Fürstenfeldbruck. Von dort mussten die noch lebenden Häftlinge zu Fuß bis zum KZ-Dachau marschieren, möglicherweise wurden sie auch mit Lkws dorthin transportiert. Am 28.4.45 kamen laut Eingangsbericht der Dachauer KZ-Schreibstube vom 29.4.45 (Tag der Befreiung!) noch 1602 männliche und 167 weibliche Häftlinge lebend an. Der SS-Protokollant vermerkte akribisch: "In der Zahl 167 weibl. Häftl. Aus Kaufering befinden sich 7 Frauen mit Kindern." Wenn man den vor der Abfahrt schon katastrophalen Gesundheits-zustand der Häftlinge, die Strapazen des viertägigen Bahntransports und den zweifachen Beschuss bei Hurlach und Schwabhausen bedenkt, kann es nicht erstaunen, dass von den 3400 noch lebenden Häftlingen der Lager 1 und 4 nur noch 1769 in Dachau ankamen. Dies ist die offizielle Informationslage über die Evakuierung von etwa 12 000 Kauferinger Häftlingen. Die bekannten Quellen erwähnen nur die Märsche und den Bahntransport von insgesamt 6.100 Häftlingen, das Schicksal von etwa 5.900 Häftlingen bleibt im Dunkeln. Dies ist eine wahrhaft lückenhafte Quellenlage. 2. Schwierige Quellenlage Die schlechte Informationslage über die Evakuierung der Kauferinger Lager Ende April 1945 hat verständliche Ursachen.
Um die Ausgangslage im Kauferinger KZ-Komplex Ende April 1945 und mögliche Evakuierungsmärsche von den verschiedenen Einzellagern über den bisherigen Quellenstand hinaus zu verbessern, versuchen wir, die bisherige Auswertung von Zeugenaussagen durch SS-Angehörige und KZ-Häftlinge noch einmal auf Gemeinsamkeiten oder Unstimmigkeiten zu überprüfen. Wir haben vor allem viele Überlebende von Kauferinger KZ-Lagern und von Todesmärschen anhand eines detaillierten und ausführlichen Fragebogens interviewt und deren Aussagen mit den bisherigen Zeitzeugen-Berichten und deren Verwendung in der Literatur kritisch verglichen. Um über die Evakuierung der zuletzt sieben Kauferinger Lager mehr Klarheit zu gewinnen, versuchen wir, möglchst wirklichkeitsnahe und nachprüfbare Fakten über die jeweilige qualitative und quantitative Ausgangslage Ende April 1944 in den einzelnen Lagern zu präsentieren. 3. Offizielle Zahlen über die Kauferinger Lager a. Gesamtzahlen aus der Dachauer Schreibstube Das "Außenkommando Kaufering" wurde im Juni 1944, zu Beginn der Bauarbeiten an den Bunkerbaustellen des Rüstungsprojekts "Ringeltaube", geschaffen, erst mit dem ursprünglichen Lager 1 bei Kaufering, das später in Lager 3 umbenannt wurde, nachdem sich der Schwerpunkt der Bauarbeiten und der Lager mehr in Richtung Landsberg Lager 1, 2, 7, 11) verschoben hatte. Über die Entwicklung der Kauferinger Lager 1 bis 11 wurde in der Dachauer Zentralkommandantur und in den Lagern selbst genau Buch geführt. In der Schreibstube der Dachauer Zentrale war für diese Arbeit der luxemburgische KZ-Häftling und Priester Jules Jost verantwortlich. Er registrierte in den Lagern des "Akdo Kaufering" bis zum 9. März 1945 insgesamt 28 838 Zugänge von Häftlingen. Am 14. April 1945, kurz vor der Evakuierung der dann noch bestehenden sieben Kauferinger Lager, wurden nur noch 11 932 Häftlinge gezählt. Nach "offiziellen" Schätzungen starben etwa 14.500 Häftlinge im "kalten Krematorium" von Kaufering durch Unterernährung, Erschöpfung, Unterkühlung, Seuchen und Gewalt. b. Unklarheiten über Zahlen und Orte Die Historikerin Edith Raim macht nach ausführlichen Recherchen darauf aufmerksam, dass die Gesamtzahl der einzelnen Lager, ihre Bezifferung und ihre Lokalisierung nicht gesichert sind. Wichtige Fachinstitutionen wie die Stadtverwaltung Landsberg, die International Tracing Commission (ITC) in Arolson oder die Zentrale Ermittlungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg voneinander abweichen. Die ITC würde sich sogar in verschiedenen Auflagen widersprechen. Sogar zwei Personen, die es wirklich wissen mussten, hatten vor dem Militärgericht Erinnerungslücken. Der SS-Kommandant aller Kauferinger Lager, SS-Sturmbannführer Otto Förschner, nannte im Dachau-Prozess nicht elf, sondern neun, an anderer Stelle sogar nur sieben Lager. Der Luxemburger Häftling Pfarrer Jules Jost, der in der SS-Verwaltung des KZ-Dachau die Stärkezahlen der Kauferinger Außenlager vor Ort registrieren musste, konnte keine kontinuierliche Zuordnung von Orten und Lagerzahlen vorlegen. Es ist eindeutig und unbestritten, dass es im Kauferinger KZ-Komplex ein Lager 1 und ein Lager 11 gab. Also ist es naheliegend zu folgern, dass es - zumindest zeitweise oder auch nacheinander - insgesamt elf Lager gab. Manche sind verwirrt, weil das ursprüngliche Lager 1, das im Gleisdreieck von Kaufering errichtet wurde, später als Lager 3 geführt wurde und weil umgekehrt das ursprüngliche Lager 3 in Landsberg zu Lager 1 umbenannt wurde. Hinzu kommt auch die Tatsache, dass zwei kleine, ziemlich weit von Kaufering und Landsberg entfernte Lager (8 und 9), die offensichtlich nicht mehr den Produktionsnotwendigkeiten entsprachen, schon sehr früh wieder stillgelegt wurden. Aus zuverlässigen Häftlingsaussagen geht hervor, dass Lager 2 nach Stillegung der nahegelegenen Bunker-Baustelle "Diana II" aufgelöst und seine Häftlinge in das nahegelegenen Lager 11 verlegt wurden. In der Lagerliste der Organsiation Todt vom 14.4.1944 taucht Lager 2 nicht mehr auf, geschweige denn Lager 8 und 9. Um der Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen, zeigen wir zunächst eine offizielle Liste der Lager mit Ortsangaben und Häftlingszahlen. c. 12.000 Häftlinge: Die Liste der Außenlager der Organisation Todt vom 14. April 1945 Die letzte Liste mit den einzelnen Außenlagern des KZ Dachau wurde am 14. April 1945 verfasst. Sie ist in der KZ-Gedenkstätte Dachau mit der Nr. 11.619 archiviert. Dazu ist vorweg darauf aufmerksam zu machen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits nicht nur die beiden kleinen Lager 8 (Seestall) und 9 (Obermeitingen) geschlossen waren, sondern auch die größeren Lager 2 (Stoffersberg) und 10 (Utting). Organisation Todt – Dachau Außenkommandos. 14.4.1944. Lager-Nr Ort Männer Frauen Häftlinge 1 Landsberg 2500 270 2770 3 Kaufering 1340 144 1484 4 Hurlach bei Kaufering 3080 12 3092 5 Utting 510 15 525 6 Türkheim 405 154 559 7 Erpfting bei Landsberg 1180 195 1375 11 Landsberg 1925 199 2124 11929 Unsere Liste vom 14. April 1945 enthält Angaben über die Zahl und Bezifferung der einzelnen Lager des KZ-Kommandos Kaufering, über ihren Ort und über die Zahl der Häftlinge. Knapp zwei Wochen vor der Evakuierung der damals noch existierenden sieben Lager des "Kommandos Kaufering" gab es noch 11 929 Häftlinge. Knapp 12 000 ist also die Gesamtzahl der Häftlinge, von der wir ausgehen müssen, wenn wir versuchen, mehr Klarheit über mögliche und wahrscheinliche Evakuierungsmärsche und –züge vom Lagerkomplex Kaufering herzustellen, um letztendlich auch mehr Hinweise über die Schicksale von knapp der Hälfte der Kauferinger Häftlinge zu erhalten. Eine letzte Bestandsliste "Außenkommandos" der Lagerschreibstube des KZ Dachau vom 26.4.1945 (als die Evakuierung schon begonnen hatte!) enthält für alle sieben noch bestehenden Lager des Kommandos Kaufering die Gesamtzahl von 10114 Häftlingen (KZGSD, AN 32.789). Der Unterschied von über 1800 Häftlingen zwischen dem 14.4. und dem 26.4. dürfte durch die Tatsache eine Erklärung finden, dass in Lager 6 (Türkheim) die Evakuierung schon am 23.4.45 begonnen hatte, in anderen Lagern ab dem 24.4.45. 4. Analyse: Lage und Häftlingszahlen der Kauferinger Lager Über die Häftlingszahlen der Kauferinger Lager und ihre mögliche Evakuierung gibt es drei Arten von Quellen:
Bei seinen Nachforschungen nach Zeugenaussagen von SS-Angehörigen und ehemaligen Häftlingen hat sich Andreas Wagner mit seiner Publikation Todesmarsch – Die Räumung und Teilräumung der Konzentrationslager Dachau, Kaufering und Mühldorf Ende April 1945 verdient gemacht. Sie ist im April 1995 zunächst als Broschüre und dann als Buchedition erschienen. Wagner hat mehr als andere Autoren die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv gespeicherten Mikrofilme über den Dachau-Prozess sowie die im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau vorliegende Dachau-Prozess-Akte und auch die dort archivierten Häftlingsberichte untersucht. Wir hinterfragen diese Aussagen hinsichtlich ihrer quantitativen und qualitativen Relevanz und auf mögliche Widersprüchlichkeiten. Bei unserer Analyse stützen wir uns auch auf intensive Befragungen vieler ehemaliger Häftlinge von Kauferinger Lagern, die Mitglieder der Häftlingsvereinigung Association of Survivors of Landsberg/Kaufering Outer Camps of Dachau sind. Wir haben bei ihnen mit einem Fragebogen gezielt nach den Informationslücken geforscht und ihre schriftlichen Antworten in persönlichen Gespräche in Deutschland und Israel hinterfragt. Ihre vergleichbaren Antworten haben viele Informationen geliefert, die Aussagen von anderen Häftlingen infrage stellen. Durch ihre präzisen und übereinstimmenden Auskünfte konnte z.B. geklärt werden, dass sie nicht am Abend des 26.4.45 im Rahmen des "Todesmarsches von Dachau" nach Waakirchen marschierten, sondern erst am Morgen des nächsten Tages. In unserer nachfolgenden Quellenanalyse der einzelnen Kauferinger Lager räumen wir den authentischen und zeitnahen Bestandsaufnahmen und Listen der SS-Lagerschreibstube in Dachau und der Organisation Todt den höchsten Grad an Glaubwürdigkeit ein. Selbst Zeugenaussagen von SS-Offizieren im Dachau-Prozess geben wir bei widersprüchlichen Angaben keinen Vorrang, da sie erst ein halbes Jahr nach dem historischen Geschehen gemacht wurden und nicht gesichert ist, dass sie im Prozess ihre Zeit- und Zahlenangaben in Kenntnis der SS-Unterlagen vom 14. und 26. April 1945 machten. Für ehemalige Häftlinge der KZ-Lager des Kommandos Kaufering gilt unsere Skepsis noch mehr. Sie konnten nur subjektive Schätzungen abgeben und kannten vor allem nicht die genauen Ergebnisse von Zählappellen und Unterlagen der SS-Lagerschreibstuben. Eine wichtige Ausnahme bildet der luxemburgische Priester Jules Jost, der in der Schreibstube des KZ Dachau arbeitete und bis zum 9. März 1945 die Zahl der Häftlinge in den Kauferinger Lagern registrierte. In der folgenden Quellenanalyse über die Kauferinger Lager behandeln wir nur deren geographische Lage und die Häftlingsstärken. Die offenen Fragen über ihre Evakuierung behandeln wir im nächsten Abschnitt. Kaufering 1 Lager 1 befand sich im Westen der Stadt Landsberg. Bei seiner Gründung war es als Lager 3 registriert. Bei seiner Umbenennung zu Lager 1 war es das Zentrum der SS-Verwaltung des "Kommandos Kaufering". Laut OT-Liste "Dachau Außenkommandos" befanden sich am 14.4.1945 2770 Häftlinge in Lager 1. Im Hinblick auf ihre Evakuierung ist zu bedenken, dass sich in seiner näheren Umgebung die Lager 2 (Stoffersberg), Lager 7 (Erpfting) und Lager 11 (Stadtwaldhof) befanden, bei deren Evakuierung Lager 1 als Befehlszentrale und wahrscheinlich auch als Sammelplatz fungierte. In seiner Nähe liegt die Lechbrücke, von der die Landstraße in Richtung München, Fürstenfeldbruck (Emmering!) und Dachau führt. Die von uns befragten ehemaligen Kauferinger Häftlinge Uri Chanoch, Mosche Eidelmann, Jehuda Garai, Mordechai Heinovits, Zwi Katz und Abba Naor befanden sich in Lager 1. Kaufering 2 Lager 2 lag westlich von Landsberg an der Landstraße nach Buchloe nahe des Weilers Stoffersberg, dicht neben der Bunkerbaustelle "Diana II". Es war ein kleineres Lager von etwa 450 Häftlingen, das in der OT-Liste unter dem Datum des 14.4.45 – im Gegensatz zu anderen kleineren Kauferinger Lagern wie Türkheim und Utting – nicht mehr erwähnt wird. Der von uns befragte Karl Rom, ehemaliger Häftling von Lager 11, erfuhr von seinem Freund Jakob Liebermann und dessen Vater, die beide in Lager 2 untergebracht waren, dass dieses aufgelöst wurde und seine Häftlinge in Lager 11 übergeführt worden seien. Jakob Liebermann war immerhin Kapo in Lager 2 und Lager 11. Für diese Auflösung spricht die Tatsache, dass die Bunker-Baustelle "Diana II" - wie auch "Walnuss II" - eingestellt wurden und die dort arbeitenden Häftlinge auf die am weitesten fortgeschrittene Baustelle "Weingut II" konzentriert wurden. Im Zusammenhang mit der "Evakuierung" von Lager 2 gibt es unvereinbare Widersprüche zwischen der OT-Liste und den genannten Häftlingen einerseits und dem Lagerleiter SS-Hauptscharführer Otto Moll andererseits. Wir behandeln diese im Zusammenhang mit dem folgenden Abschnitt "Evakuierungen". Kaufering 3 In Lager 3 befanden sich am 14.4.45 laut OT-Liste 1484 Häftlinge. Lager 3 lag im Südosten Kauferings, logistisch günstig im Gleisdreieck der Bahnlinien München-Buchloe und Augsburg-Landsberg. Erste Planungs- und Baumaßnahmen begannen schon im März 1944. Der allererste Häftlingstransport für das gesamte "Kommando Kaufering" kam am 18. Juni 1944 mit - laut Lagerbuch 3 - genau 1000 meist ungarischen Auschwitz-Häftlingen am Kauferinger Bahnhof an. Sie bezogen das nur etwa einen Kilometer entfernte damalige Lager 1, das dann im Juli oder August in Lager 3 umbenannt wurde. Das Lagerbuch von Kaufering 3 verzeichnet am 11. Juli und am 25. Oktober 1944 zwei weitere Häftlingstransporte aus dem KZ Auschwitz-Birkenau. Kaufering 4 Lager 4 lag nur wenige Kilometer nördlich von Kaufering an der Straße nach Hurlach, in unmittelbarer Nähe der Bahnlinie Kaufering-Augsburg. Die OT-Liste registrierte am 14.4.45 dort 3092 Häftlinge. In diesem Lager befanden sich die uns bekannten ehemaligen Häftlinge Mosche Eidelman, Dr. Jehuda Garai und Jaakob Simon. Lager 4 war ursprünglich für die Unterbringung der Häftlinge, die auf der Bunkerbaustelle "Walnuss II" arbeiten mussten, eingerichtet worden. Später wurde es zum Krankenlager des gesamten Kauferinger Lagerkomplexes. Seine Häftlingszahlen schwankten wegen des schlechten bis katastrophalen Gesundheitszustands vieler Häftlinge durch die hohen Zugangs- und Sterberaten. Von Lager 4 aus gingen mindestens bis zum 25. Otober 1945 Transporte von schwerkranken Häftlingen in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau (dokumentiert in Lagerbuch 3). Nach der Evakuierung der noch gehfähigen kranken Häftlinge durch den Bahntransport vom 25.4.45 blieben 268 schwerkranke Häftlinge in den Erdhütten zurück. Der für Lager 4 verantwortliche SS-Arzt gab Befehl, die Hütten mit den darin befindlichen hilflosen Häftlingen zu verbrennen. Bilder von den ermordeten Häftlingen von Lager 4 zeigen wir unter der Verbindung Todesmärsche/Todes-opfer/ Dokumente und Fotos. Kaufering 5 Lager 5 war ein kleines Nebenlager des Kauferinger Lagerkomplexes. Es lag - wie auch Lager 10 – in Utting am Ammersee. Dort wurden Fertigbauteile für die Bunkerbauten bei Landsberg und Kaufering erzeugt ("Dyckerhoff"). Die Lager 5 und 10 werden durch viele Betroffene und Rechercheure und in vielerlei Hinsicht miteinander verwechselt. Das gilt auch für die Evakuierungstermine. Unter der Eintragung "Lager 5" führt die OT-Liste für den 14.4.45 525 Häftlinge auf. Wir sprachen mit den ehemaligen Häftlingen Solly Ganor und Abba Naor, von denen der eine Lager 10, der andere in Lager 5 gewesen sein will. Beide kamen auf jeden Fall am 1. Mai 1945 im Wald bei Waakirchen an. Diese Widersprüche behandeln wir im nächsten Abschnitt (Evakuierungen). Kaufering 6 Lager 6 lag westlich von Kaufering an der Eisenbahnstrecke nach Buchloe. Es war ebenfalls ein kleines Nebenlager des Kauferinger Lagerkomplexes, das Fertigteile produzierte. Die OT-Liste gibt die Zahl der Häftlinge für den 14.4.45 mit 559 an. Trotzdem dokumentieren die amerikanischen und niederländischen Hauptquellen für den 23.4.45 einen Evakuierungsmarsch von 1200 Häftlingen aus Türkheim. Diesen Widerspruch haben wir im Zusammenhang mit dem "Todesmarsch von Dachau" schon geklärt. Kaufering 7 Lager 7 lag südwestlich von Landsberg an der Straße nach Erpfting. Seine Häftlinge mussten in den nahegelegenen Baustellen "Diana II und Weingut II" arbeiten. Die OT-Liste registriert für den 14.4.45 in Lager 7 1375 Häftlinge. Wagner kann für dieses Lager mit immerhin weit über 1000 Häftlingen keine Zeitzeugen aufführen. Auch wir wurden unter den Survivors of Landsberg/Kaufering Outer Camps zum Thema Lager 7 nicht fündig. Kaufering 8 Lager 8 lag befand sich bei Seestall, einem kleinen Dorf etliche Kilometer südlich von Landsberg, zwischen der Landstraße und dem Lech gelegen. Es war ein winziges Lager, das angeblich schon im März 1945 aus geologischen Gründen (schlechte Kiesqualität?) aufgelöst wurde, das möglicherweise im organisatorischtechnischen Sinne überhaupt nicht zum Bunkerbaukomplex "Ringeltaube" gehörte. In der OT-Liste vom April 1945 taucht dieses Phantomlager überhaupt nicht auf. Kaufering 9 Zu Lager 9 lässt sich Ähnliches sagen wie zu Lager 8. Es lag – entgegengesetzt zu Lager 8 – weit nördlich vom Komplex Kaufering/Landsberg, bei Obermeitingen nahe der Bahnlinie Kaufering-Augsburg, näher am Militärflughafen Klosterlechfeld als an den Bunkerbaustellen. Auch Lager 9 taucht in der OT-Liste vom April 1945 nicht auf. Zu den Lagern 8 und 9 haben auch die Nachforschungen von Edith Raim und Andreas Wagner zu keinen Ergebnissen geführt. Auf einem von Raim veröffentlichten Luftbild der U.S Air Force ist "Lager Obermeitingen" kaum zu erkennen. Kaufering 10 Das bei Utting am Ammersee gelegene Lager 10 haben wir im Zusammenhang mit Lager 5 schon erwähnt. Dieses kleine Nebenlager des Kauferinger Komplexes, dessen Existenz von ehemaligen Häftlingen bestätigt wird, taucht in der OT-Liste vom 14. April 1945 nicht mehr auf. Demzufolge wurde es vorher schon evakuiert und stillgelegt. Als Lagerstärke nennen wir mit einem unsicheren Gefühl 600 Häftlinge (s.u.). Über die Verwechslung der beiden in Utting gelegenen kleineren Lager 5 und 10 wurde schon Stellung genommen. Sie gehen bis in die Reihen der damaligen Häftlinge. Über Lager 10 liegen zwei präzise, aber widersprüchliche Zeugenaussagen vor. Solly Ganor schreibt in seinem Buch Das andere Leben, dass am 24. April bei einem Appell 600 Häftlinge gezählt wurden, dass alle Häftlinge am Morgen des 25. April nach Dachau abmarschieren mussten. Der von Wagner zitierte ehemalige Häftling Slomo Pasternak äußerte, Lager 10 sei am 15. April aufgelöst worden und die Häftlinge hätten nach Landsberg ins Lager 1 marschieren müssen. Abba Naor, ebenfalls Häftling in Lager 10, berichtet über dieselbe Umsiedlung von Lager 10 in Lager 1. Unbestritten dürften folgende Tatsachen sein: In Utting gab es zwei Nebenlager des KZ-Komplexes Kaufering. Sie hatten die Nummern 5 und 10. Eines der beiden Lager wurde vor dem 14.4.45 stillgelegt und seine Häftlinge nach Landsberg in Lager 1 verlegt. Das zweite Lager wurde am 25.4.45 durch einen Marsch nach Dachau evakuiert. Die Häftlingszahlen liegen mit 525 und 600 nahe beisammen. Kaufering 11 Lager 11 lag wenige Kilometer westlich von Landsberg in der Nähe des Dorfes Stadtwaldhof, nahe der Baustelle "Diana II" und nicht weit von der größeren Bunkerbaustelle "Weingut II" entfernt. Nach der Bestandsaufnahme des OT-Berichts vom 14.4.45 war es mit 2124 Häftlingen das drittgrößte Lager des Kauferinger Komplexes. Im Gegensatz zu den meisten Ende April noch bestehenden Lagern liegen über Lager 11 mehrere Zeugenaussagen von ehemaligen Häftlingen und SS-Angehörigen vor. Karl Rom, der bis zur Evakuierung Häftling von Lager 11 war, berichtet, dass die Häftlinge von Lager 2 bei Schließung dieses Lagers ins Lager 11 verlegt wurden. Er nennt dafür auch andere Zeitzeugen. Über widersprüchliche Aussagen über Zahlen, Zeitpunkt und Ziele der Evakuierung von Lager 11 berichten wir im folgenden Abschnitt. 5. Analyse: Evakuierung der einzelnen Kauferinger Lager Die von der Organisation Todt angegebene Gesamtzahl von fast 12 000 Häftlingen in den verbliebenen sieben Lagern des Kauferinger Lagerkomplexes zum Stichtag 14.4.45, nur wenige Tage vor der Evakuierung der Lager, entspricht unserer Meinung nach der damaligen Wirklichkeit. Sie wird durch die Gesamtzahl von 10 114 Häftlingen in der Aufstellung "Außenkommandos" der SS-Lagerschreibstube des KZ Dachau vom 26.4.45 nicht widerlegt, sondern gestützt, denn am Stichtag 26.4.45 waren die Evakuierungen der 12 000 Kauferinger Häftlinge schon seit mindestens zwei Tagen im Gange. Der Unterschied von 2000 Häftlingen ist gut erklärbar. Von dieser Gesamtzahl von fast 12 000 Häftlingen des Kauferinger Lagersystems ausgehend stehen wir vor der Herausforderung, die größte Informationslücke des gesamten Komplexes von Todesmärschen und Todeszügen aus dem KZ Dachau und seinen Außenlagern zu untersuchen und bessere Erkenntnisse zu erarbeiten. Im Einzelnen geht es um folgende Fragen:
Das sind die schwierigen Fragen, die wir im Folgenden zu beantworten haben. a. Ausgangslage in den Hauptquellen Wir wiederholen als quantitativen Ausgangspunkt die von den Hauptquellen genannten Angaben über zwei Evakuierungsmärsche aus den Kauferinger Lagern und einen Bahntransport.
Nach diesen offiziellen Quellen wurden 6100 Häftlinge aus Kauferinger Lagern evakuiert. Demnach bleicht das Schicksal von 5832 Kauferinger Häftlingen, fast der Hälfte aller Häftlinge der verbliebenen sieben Lager ungelöst. Über welche Quellen, Zeugenaussagen und sonstigen Hinweise verfügen wir, um Licht in dieses Dunkel zu bringen? d. Informationen von Zeitzeugen über Evakuierungen Bei dieser wesentlichen Analyse unserer Gesamtarbeit folgen wir den Erkenntnissen aus den einzelnen Lagern, weil nach den bekannten Zeugenaussagen einzelne Evakuierungen – was wirklichkeitsnah ist – nach Herkunftslagern mit unterschiedlichen Marschzielen organisiert waren. Wir schließen vorweg mögliche zusätzliche Bahntransporte aus, weil es dafür keinerlei Hinweise gibt, was allerdings nicht für das Zwischenziel Emmering gilt. Evakuierung Lager 1 Wir nennen Lager 1 der zahlenmäßigen Ordnung halber am Anfang, Wir sollten jedoch unsere Analyse nicht damit beginnen, da Lager 1 auch als Sammellager für die Evakuierung anderer Kauferinger Lager fungierte. Wir sollten deshalb erst prüfen, was mit den Häftlingen der verbliebenen Lager 3, 4, 5, 7 und 11 geschah. Evakuierung Lager 3 Um die Frage der Evakuierung der fast 1500 Häftlinge von Lager 3 zu klären, zitiert Wagner einen ehemaligen Häftling und einen SS-Angehörigen. Nach der Aussage des Häftlings Miroslav Karny marschierte ein Teil in ein "Sammellager" bei Landsberg. Nach Aussagen des SS-Mannes Heinrich Witt marschierten 745 Häftlinge, also die Hälfte, in Richtung Allach. Zunächst ist nicht klar, ob die beiden Aussagen unterschiedliche Gruppen meinen. Aber es ist durchaus möglich, dass die erste Hälfte vom "Sammellager" (Lager 1) aus mit dessen Häftlingen in Richtung Dachau oder Emmering marschierte und die zweite Hälfte – dann wahrscheinlich mit Häftlingen von Lager 11 (s.u.) – nach Allach. Möglich ist aber auch, dass alle Häftlinge von Lager 3 über das Landsberger Sammellager nach Allach marschierten. Evakuierung Lager 4 Wagner zitiert aus einer nicht sehr authentischen Quelle, dass es aus dem Lager 4 einen Marsch von 300 Häftlingen in unbekannte Richtung gegeben habe. Es kann ja sein, dass es unter den über 3000 Häftlingen des Krankenlagers 4 noch gesunde Häftlinge gab, die lieber marschieren und nicht mit dem großen Bahntransport nach Dachau fahren wollten. Wir lassen diese Gruppe mangels klarer Aussagen unberücksichtigt. Evakuierung Lager 5 und 10 Wir behandeln beide Uttinger Lager gemeinsam, weil es angesichts der vielen Verwechslungen nicht ganz klar ist, aus welchem Lager nun wann und wohin evakuiert wurde. Tatsache ist, dass - wie schon oben gesagt – das eine Lager vor dem 14.4.1945 aufgelöst und seine Häftlinge nach Landsberg in Lager 1 verlegt wurden und dass das zweite Lager am 25.4.45 durch einen Marsch nach Dachau evakuiert wurde. Die Häftlingszahlen für beide Lager lauten 525 und 600. Die Tatsache, dass in der OT-Liste vom 14.4.1945 Lager 5 noch auftaucht ("Kaufering Utting OT-Arbeitsl. V"), Lager 10 aber nicht mehr, dürfte belegen, dass es sich bei dem schon früher aufgelösten Uttinger Lager um "Kaufering X" gehandelt hat. Diese Schlussfolgerung wird durch unsere Befragung der beiden ehemaligen Häftlinge Abba Naor und Solly Ganor belegt. Sie stammen beide aus Kaunas und waren in je einem der beiden Lager. Abba Naor wurde von Utting nach Landsberg ins Lager 1 verlegt und marschierte mit Häftlingen von diesem Lager nach Dachau und weiter nach Waakirchen. Solly Ganor marschierte seiner Meinung nach am 25.4.45 von Utting direkt nach Dachau und von dort ebenfalls bis Waakirchen. In der OT-Liste vom 14.4.45 sind unter "Kaufering Utting OT-Arbeitsl.V" 525 Häftlinge registriert. Die SS-Kommandantur des KZ Dachau hat für den 27.4.45 unter "Zugänge:" protokolliert: "Vom Akdo.Kaufering 539". Da die Zugänge aus den einzelnen Kauferinger Lagern im KZ Dachau immer unter dem pauschalen Begriff "Akdo. Kaufering" registriert wurden, dürfte es sich im Hinblick auf die weitgehende Übereinstimmung von Zahl und Datum um den Evakuierungsmarsch von "Kaufering Utting Lager 5" handeln. Wichtig ist noch eine andere gemeinsame Erinnerung der Beiden: Sie kamen abends in Dachau an, übernachteten dort, duschten, wurden verproviantiert und marschierten am nächsten Morgen in Richtung Waakirchen. Wenn Solly Ganor "am Morgen" von Dachau in Richtung Waakirchen marschieren musste, dann war er nicht im "Todesmarsch von Dachau", der am 26.4.45 gegen 21.00 Uhr Dachau verließ, sondern in einem zweiten Dachauer Evakuierungsmarsch in Richtung Alpen. Dieser ist durch Zeitzeugen aus den Würmtal-Gemeinden Gräfelfing und Planegg bezeugt. Evakuierung von Lager 7 Über die Evakuierung der 1375 Häftlinge von Lager 7 bei Landsberg tappen wir völlig im Dunkeln. Wegen der folgenden Informationen über Lager 11 halten wir einen Marsch nach Allach für unwahrscheinlich. Dann bleiben zwei Möglichkeiten: ein getrennter Marsch nach Emmering oder Dachau oder gemeinsamer Marsch mit Häftlingen anderer Lager vom "Sammellager" 1 aus ebenfalls nach Emmering oder Dachau. Evakuierung von Lager 11 Wagner kann mit ehemaligen Häftlingen (Leon Kligerman und Dr. Franz Hahn) und SS-Angehörigen (Valentin Rehhorn und Johann Baumgartner) als Zeitzeugen aufwarten, die eine Räumung von Lager 11 am 23.4.45 nennen, Baumgartner will Häftlinge von Lager 11 sogar schon am 22. oder 23.4. in Landsberg auf dem Weg in die Evakuierung gesehen haben. Wichtig ist nicht das Datum, sondern das Ziel der Evakuierung der immerhin über 2000 Häftlinge aus Lager 11: das KZ Allach. Die Zielangabe Allach wurde uns von drei ehemaligen Häftlingen von Lager 11 bestätigt: von Karl Rom und Abraham Schul sowie von Roms Freund Jakob Liebermann. Sie marschierten am 24.4.45 von Landsberg über Fürstenfeldbruck zum KZ Allach und kamen dort am 25.4. an. Wer bleiben wollte, konnte bleiben, wer weiter wollte, musste am 26.4. in Richtung Süden weitermarschieren. Jakob Liebermann und Rom blieben in Allach und wurden dort am 29.4. befreit, Schul marschierte über Leutstetten und Wolfratshausen zum Gefangenenlager Buchberg bei Geretsried und wurde dort am 1.5.45 befreit. Wir gehen davon aus, dass nicht nur alle 2124 Häftlinge des Lagers 11 nach Allach evakuiert wurden, sondern mit ihnen auch die 745 Häftlinge aus Lager 3 (s.o.), die über ein "Sammellager" in Landsberg nach Allach marschierten. Bezüglich des angeblichen Datums vom 23.4.45 sei darauf hingewiesen, dass der ehemalige Häftling Kligerman seine Aussage erst im Jahre 1948 machte. (Bei Hahn ist dies nicht angegeben). Nicht nur SS-Sturmbannführer Otto Förschner, der letzte Lagerkommandant des Kauferinger Kommandos, gab im Dachau-Prozess zu Protokoll, dass die Räumung der Lager bei Kaufering und Landsberg erst am 24.4.45 begonnen habe (und am 27.4. beendet worden sei). Auch in der gesamten einschlägigen Literatur wird der 24.4.45 als Beginn der Evakuierung der Kauferinger Lager betrachtet. Aber letztendlich spielt ein Zeitunterschied von einem Tag keine inhaltlich relevante Rolle. Wichtig sind nur die Möglichkeit der Koordinierung von Evakuierungsmärschen aus verschiedenen Lagern und das gemeinsame Ziel. Das hieß Allach und nicht Dachau. Zurück zu Lager 1 Wir haben unter dem Punkt "Evakuierung von Lager 1" darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung der Evakuierung seiner 2770 Häftlinge seine Funktion als "Sammellager" berücksichtigt und geklärt werden müsse, wie viele Häftlinge aus anderen Lagern über das Lager 1 und zusammen mit seinen Häftlingen evakuiert wurden. Wir tun dies im folgenden Versuch eines wirklichkeitsnahen Fazits. 6. Fazit: 4 Evakuierungsmärsche von Kauferinger Lagern a. Schematische Annäherung an mögliche Evakuierungsziele Unsere Quellenanalyse der Häftlingsstärken der einzelnen Kauferinger Lager und mögliche Evakuierungsformen und –ziele ergibt pauschal folgendes schematisches Gesamtbild: Lager-Nr. Dachau Allach Bahn 1 1770 - 1000 3 - 1484 - 4 300 - 2400 5 525 - - 6 559 - - 7 1376 - - 11 - 2124 - 4530 3608 3400 Diese schematische Darstellung unterstellt folgende Evakuierungsformen und –ziele:
b. Dachauer Zugangsmeldungen vom Kommando Kaufering Wir vergleichen die möglichen Evakuierungsmärsche in Richtung Dachau mit den Zugangsmeldungen des KZ Dachau an den möglichen Tagen des Eintreffens von Kauferinger Häftlingen. In den täglichen Lagerstandsmeldungen der Kommandantur des KZ Dachau sind folgende Zugänge und Abgänge registriert, die Kauferinger Häftlinge betreffen oder betreffen könnten (Stand am jeweiligen Abend bzw. am nächsten Morgen um 5 Uhr früh). Stand vom 25.4.45 Überstellung v. Akdo. Kaufering 1542 Häftlinge Auf Transport n. Akdo. Ötztal (Juden) 1754 Juden Stand vom 26.4.45 Abgänge Transport 5667 Häftlinge Stand vom 27.4.45 Zugang vom Akdo, Kaufering 539 Häftlinge Stand vom 28.4.45 Zugang Kaufering 1769 Häftlinge Zugänge 3850 Häftlinge Abgänge (bzw. "auf Transport") 7421 Häftlinge Gemäß diesen Zugangs- und Abgangsmeldungen der Kommandantur des KZ Dachau sind nur drei Zugänge von Häftlingen aus dem "Kommando Kaufering" registriert:
Aufgrund dieser Dachauer Zugangsmeldungen ziehen wir folgende Schlussfolgerungen:
c. Kauferinger Bahntransporte von Emmering nach Süden? Deshalb stellen wir, bevor wir eine abschließende Einschätzung versuchen, noch einmal die Dachauer Bahntransporte der letzten Apriltage 1945 aus Emmering in Richtung Süden zusammen. 23.4.45 2000 Häftlinge Emmering nach Seefeld und Mittenwald 25.4.45 3000 Häftlinge Emmering nach Seeshaupt 26.4.45 2600 Häftlinge Emmering nach Staltach/Iffeldorf 27.4.45 2000 Häftlinge Emmering nach Wolfratshausen 9600 Häftlinge Über die Herkunft dieser in Emmering verladenen "Dachauer Häftlinge" gibt es keine Informationen. Für die Herkunft der 6887 Häftlinge des "Todesmarsches von Dachau" nennt die Hauptquelle NTC Dachauer Häftlinge und Häftlinge aus den jüngsten Bahntransporten aus den KZ-Lagern Auschwitz, Buchenwald, Flossenbürg und Natzweiler. Ähnlich könnte die Zusammensetzung der 9600 Häftlinge sein, die in Emmering in Richtung Süden verladen wurden. Waren unter den 9600 "Dachauer Häftlingen", die zwischen dem 23. und dem 27.4.45 in Emmering verladen wurden, auch Kauferinger Häftlinge? Logisch wäre es! Wenn die Dachauer Lagerverwaltung laut NTC Evakuierungstransporte aus anderen KZ-Lagern über Emmering in den Süden weiterleitete, warum sollte es dann Kauferinger Häftlinge durch Emmering marschieren lassen – weiter in das schon überfüllte KZ Dachau? Wenn die Kauferinger Häftlinge am 24. und 25.4.45 abmarschierten, könnten sie - rein zeitlich gesehen - die Emmeringer Transporte vom 26.4.45 nach Staltach und am 27.4. nach Wolfratshausen erreicht haben. Nichts spricht gegen diese Annahme – außer der Tatsache, dass es für eine solche naheliegende Kombination von Marsch und Bahntransport keine Zeitzeugen gibt, weder ehemalige Häftlinge, noch SS-Angehörige, noch Bahnangestellte, noch Einheimische. Umgekehrt kann man argumentieren: Da es überhaupt keine Zeugenaussagen über die Verladung von 9600 "Dachauer Häftlingen" in Emmering gibt, ist die "Tatsache" des Fehlens von Zeitzeugen für die Verladung Kauferinger Häftlinge in Emmering kein schlüssiges Argument. So einleuchtend eine Bahnverladung Kauferinger Häftlinge in Emmering wäre, so gibt es uns doch zu denken, dass alle uns bekannten ehemaligen Häftlinge von Lager 1, 3, 5 und 11 nach Dachau oder Allach marschierten, bei Fürstenfeldbruck eine nächtliche Rast einlegten und am Abend des zweiten Marschtages in Dachau oder Allach ankamen, dort übernachteten und am nächsten Tag in Richtung Süden (Waakirchen oder Buchberg) weitermarschierten. Das spricht für einen Abmarsch in Landsberg oder Utting am 25.4.45. und eine Ankunft in Dachau am 26.5. Keiner dieser Zeitzeugen berichtet über eine Bahnverladung. Das lässt folgenden Schluss zu: Die genannten Häftlinge aus Lager 1 waren Teil eines letzten Marsches von Landsberg/Kaufering nach Dachau, der die ungeklärten 2451 Kauferinger Marschierer in Richtung Dachau umfassen könnte. Bei dem Evakuierungszug von 1500 Kauferinger Häftlingen, der laut Hauptquelle NTC schon am 24.4.45 abmarschierte, könnte es sich um die 1375 Häftlinge von Lager 7 und 300 gehfähige Häftlinge von Lager 4 handeln. Es ist auch an den ersten Kauferinger Evakuierungsmarsch von 1200 Häftlingen aus Türkheim und Lager 1 zu erinnern sowie an den Evakuierungsmarsch aus dem Uttinger Lager 5. d. Finale Schlussfolgerung: 6 Häftlingsmärsche, 1 Bahntransport Nach diesen Überlegungen über Tatsachen, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten bei den ungeklärten Fragen kommen wir abschließend zu folgenden Annahmen:
Dieses Evakuierungsmodell umfasst insgesamt 11 718 Häftlinge aus den sieben Kauferinger Lagern. Das kommt der OT-Zählung vom 14.4.45 von insgesamt 11 932 Häftlingen sehr nahe. Denkt man an die 268 Ermordeten im Lager 4 und einige Häftlinge, die sich versteckten, dann entsprechen unsere Schlussfolgerungen zumindest zahlenmäßig der Wirklichkeit. Wir stellen also fest. Die Evakuierung der fast 12 000 Häftlinge der sieben Kauferinger Lager fand folgendermaßen statt:
In dieser Analyse ging es uns nur um die Zahlen und Ziele der Evakuierung der Kauferinger Lager. Die Frage des Weitermarsches von Allach und Dachau nach Süden wurde und wird im Zusammenhang mit der Analyse der Dachauer Todesmärsche und des Allacher Evakuierungsmarsches behandelt. Nimmt man die Zahl der Häftlinge des "Todesmarsches von Dachau", nämlich 6887, als Vergleichsgröße, dann sind die Lücken in den Hauptquellen nicht nur im Hinblick auf die Evakuierung der Kauferinger Lager sehr beträchtlich: bei insgesamt 12 000 Kauferinger Häftlingen wurden nur zwei Märsche mit 3260 Häftlingen registriert, nimmt man die Häftlingszahl für den Bahntransport hinzu, nämlich 3400, dann besteht immer noch ein Defizit von 5340 Häftlingen. In der Gesamtrechnung der amerikanischen und niederländischen Hauptquellen der Evakuierung des "KZ Dachau und seiner Außenkommandos" klafft noch ein weiteres großes Loch: die Märsche von 3500 bis 4500 Häftlingen von Außenlagern im Norden und Osten Münchens: vom KZ Allach und von drei kleineren KZ-Lagern in München-Riem, München-Giesing und Ottobrunn. Wichtig dabei sind nicht nur die relativ großen Häftlingszahlen, sondern die Tatsache, dass sich die Marschrouten der Allacher Häftlinge und der Häftlinge aus dem Münchner Osten mit der Strecke des "Todesmarsches von Dachau" teilweise überschnitten und deshalb untersucht werden müssen. Das Ende des Marsches aus München-Ost liefert sogar eine Antwort auf die noch offene Frage des "Todesmarsch von Dachau": Welche Häftlinge marschierten über Waakirchen hinaus ins Tegernseer Tal? |