Familie Levin

Der Chemiker Dr. Kurt Levin (geboren am 25. April 1888 in Berlin) zog am 1. April 1929 mit Frau Dora, geborene Fischer (geboren am 7. November 1889 in Berlin), und den Kindern Ludwig (geboren am 20. September 1918 in Schöneberg), Eva Johanna (geboren am 12. September 1919 in Warnemünde) und Jakob (geboren am 11. Februar 1922 in Oranienbuurg) nach Planegg in die Adolf-Wagner-Straße 1 (Hofmarkstraße). Kurt Levin gehörte der jüdischen Religion an, seine Frau und die Kinder waren evangelisch. Die Gymnasiastin Eva Johanna starb am 18. Juni 1933 im Alter von 13 Jahren.
Laut der Gemeindechronik (Grau, Anton, Geschichte Planeggs im 19. und 20. Jahrhundert, in: Planegg, Geschichte und Geschichten, Bd. II, 2009, Gemeinde Planegg) bat Dr. Levin 1938 den Planegger Bürgermeister Karl Tries, dass seine Frau für eine Reise nach England 50 Mark, statt der bisher immer bewilligten 10 Mark mitnehmen darf. Das Gesuch wurde abgelehnt. Die Gemeindechronik berichtet weiter, dass am Tag nach der so genannten Reichskristallnacht, am 10. November 1938, die jüdischen Familien in Planegg ihre Mietwohnungen räumen mussten, da den „arischen“ Mitbewohnern „nicht zugemutet werden konnte, dass sie mit Juden in einem Haus zusammenleben mussten“. Laut der Gemeindechronik schilderte Josef Gabler von Planegg anlässlich seiner Spruchkammerverhandlung diese Aktion: „Am nächsten Morgen nach der Reichskristallnacht ging der Bürgermeister von Planegg mit dem Polizeikommissär Huber und dem Ortsgruppenleiter Salier in die Judenwohnungen und führte den Ausweisungsbefehl durch. Die SA, darunter auch Gabler, marschierte mit. Zu besonderen Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten ist es allerdings bei dieser Gelegenheit nicht gekommen. Hätten sie dies nicht getan, so wäre die SA, die mitmarschieren musste, eingesetzt worden.“
Die Gemeindechronik zitier aus einem Brief, den am 30. Dezember 1938 Dr. Kurt Levin (Postadresse München Hauptpostlagernd) an die Gemeindeverwaltung Planegg schrieb: „Nach der erzwungenen Räumung meiner Wohnung Adolf Wagner Str. 1 hatte meine Frau im Gerichtshalterhaus an der Pasinger Straße ein Zimmer gemietet und bezahlt, nachdem ihr von Herrn Bürgermeister Tries ausdrücklich zugesagt worden war, daß sie dort wohnen dürfe. Ich höre aber jetzt, daß es ihr nicht erlaubt worden ist, die wenigen noch in Planegg befindlichen Möbel dort einzustellen. Jetzt hat Frau Traut Planegg Adolf Wagnerstraße 13 meiner Frau ein kleines möbliertes Zimmer zur vorübergehenden Benutzung angeboten. Ich frage an, ob dagegen seitens der Gemeinde Einwendungen bestehen. Zugleich frage ich an, ob meine eigene am 10. November von Herrn Bürgermeister ausgesprochene Ausweisung noch aufrechterhalten wird und wie lange.“ Als Grund für das nachträgliche Verbot, im Gerichtshalterhaus ein Zimmer zu mieten, gab der Bürgermeister an, dass der ganze Schlosskomplex an die Stadt München verkauft werden sollte, was dann 1939 auch geschah.
Kurt Levin, der in München in der Schwanthalerstraße 91gemeldet war, emigrierte am 1. Mai 1939 nach Belfast/Nordirland. Die Ehefrau Dora Levin zog nach eigener polizeilicher Abmeldung vom 12. Mai1939 ebenfalls nach Nordirland. Die Söhne Ludwig und Jakob wanderten ohne Abmeldung einige Monate früher ebenfalls nach Nordirland aus.
Die Gemeindechronik zitiert aus den Rückerstattungsakten des Leihamts: „Kurt Levin wohnte bis November 1938 in Planegg bei München. Dort wurde er vom Bürgermeister aus seiner Wohnung vertrieben. Den schließlich noch vorhandenen Rest seiner Möbel sollte ihm, in zwei ‚Lift‘ verpackt, nach Belfast nachgeschickt werden, hat ihn aber nie erreicht.“.
In der Gemeindechronik heißt es weiter: „Am 27.10.1940 wurde der Familie Dr. Kurt Levin von der Geheimen Staatspolizei die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.“ Kurt Levin beschäftigte sich schon in seiner Berliner Zeit eingehend mit der „jüdischen Frage, berichtet die Gemeindechronik. Unter dem Pseudonym Jakob Resch schrieb er in der Zeitschrift „Die Hochschule, Blätter für die akademische und politische Bildung“ im August 1921: „Von der bloßen Ablehnung bis zum fanatischen Haß zeigt die Judenfeindschaft alle Grade. Wir deutschen Juden stehen davor ratlos und traurig. Wir glauben, gute Deutsche zu sein. Wir sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, unsere Geschlechter sind seit vielen Jahrhunderten in Deutschland heimisch: unsere Muttersprache ist deutsch, unsere Jugend bildete sich an den Gaben deutschen Geistes, wir durchtränkten uns ganz mit allen Schönheiten deutscher Kunst, wir liebten Deutschland, unser Heimatland.“
Er war mit dem Komponisten Hans Pfitzner befreundet und unterstützte ihn in wirtschaftlichen Nöten und Schwierigkeiten. Hans Pfitzner hat sich erkenntlich gezeigt und ihm seine Oper Christelflein gewidmet.

Die Gemeindechronik zitiert Altbürgermeister Richard Naumann, der ebenfalls in Planegg im Haus Hofmark-Straße 1 wohnte und mit der Familie Levin befreundet war: „Acht Tage nach der Rückkehr aus dem Krieg stand im Haus Hofmarkstraße 1 ein englischer Soldat vor der Tür. Es war Ludwig Levin, genannt Pütt, dessen Eltern ab 1929 den 1. Stock unseres Hauses gemietet hatten. Sein Vater war der Chemiker Dr. Kurt Levin, ein echter Patriot mit EK 1 aus dem Ersten Weltkrieg. Ludwig Levin war 1945 als Chefdolmetscher des Generals Lucius Clay nach Deutschland zu rückgekehrt. Nach dem glücklich überstandenen Krieg feierten wir ein unvergessliches Wiedersehn.“

Quellen:
Stadtarchiv München
Gemeindearchiv Planegg
Grau, Anton, Geschichte Planeggs im 19. und 20. Jahrhundert, in: Planegg, Geschichte und Geschichten, Bd. II, 2009, Gemeinde Planegg

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